Die Harvard-Forscherin Amy Edmondson1 konnte sich mit ihrem Konzept der Psychologischen Sicherheit in Teams einen Namen machen. Schon lange hatten andere Wissenschaftler beobachten können, dass die Umsetzung von schwierigen Veränderungen und/ oder die Leichtigkeit und Qualität in der Erarbeitung von kreativen Lösungen stark von einer bestimmten Atmosphäre in der Zusammenarbeit abhängig waren. Was nun genau beschreibt diesen Zustand? Die Definition, die Amy Edmondson entwickelt hat, lautet: Psychologische Sicherheit ist die von allen Teammitgliedern geteilte Überzeugung, dass man sich im Team beim Eingehen von interpersonalen Risiken sicher fühlen kann.
Abbildung: Apathie-, Angst-, Komfort- und Lernzone (Edmondson 1999)2
Autor:
Christoph Lindinger
1 Edmondson, A.C. & Lei, Z. (2014): Psychological Safety: The history, renaissance and future of an interpersonal construct in: Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 1, 23-43
2 Edmondson, A.C. (1999): Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams, Administrative Science Quarterly
3 Boyatzis, R. (2012): Neuroscience and the Link Between Inspirational Leadership and Resonant Relationships, in: Ivey Business Journal
4 Fredrickson, B. (2009): Positivity, Oneworld Publications, London
Wenn heute in einer Organisation Weiterbildung forciert werden soll, werden Personalentwickler oder Fachspezialisten sofort nach E-Learning-Lösungen gefragt. Es wirkt wie das Allheilmittel, in dem beide Disziplinen kostengünstig zusammenarbeiten können. Die Vision ist tatsächlich bestechend: Den Lernenden wird ein überall verfügbares Lernangebot unterbreitet. Das Spektrum der bisher üblichen Wissensvermittlungen wird um die beiden Lernformen selbstbestimmtes individuelles und kollektives Lernen erweitert.
Leider aber wird einmal mehr das Werkzeug überbetont. Wer nie vorher einen Hammer in der Hand hielt, wird damit vermutlich vor allem zerstörerisch tätig werden. Der Nagel kommt nicht in die Wand. Ohne zu wissen, wie man mit E-Learning umgehen soll, werden Inhalte im besten Fall konsumiert und schnell vergessen. Eine besondere Bedeutung kommt wie überall sonst der Fähigkeit zu, Lernmaterial für sich zu verarbeiten. Heutige Weiterbildung geht daher allgemein von einem Zusammenspiel von drei Elementen aus. Ausgangspunkt ist der beschriebene (Growth) Mindset. Hinzu kommen Fähigkeiten (Skills), um das Gelernte aufnehmen und umsetzen zu können, und zuletzt natürlich auch die notwendigen Werkzeuge (Tools).
Bei der Sehnsucht nach Werkzeugen verwechselt man das Rezept für Medikamente mit dem späteren Heilungsprozess. Er besteht aus weitaus mehr als nur der Einnahme von Pillen. Wer z. B. nicht genügend trinkt, wird bei einer Grippe trotz aller Medikamente länger als nötig an Symptomen laborieren. Remote lernen zu können, setzt ebenso wie Lernen in einem Seminarraum grundlegende Lernkompetenzen voraus. Nicht jeder lernt gut alleine vor einem Bildschirm. E-Learning findet im Idealfall sogar in einem Team- oder Netzwerkkontext statt. Auf diese Weise können positive Teameffekte dazu beitragen, bei der Stange zu bleiben, sich gegenseitig zu ermutigen und sich auch dann zu unterstützen, wenn Hindernisse auftauchen.
Im HRtoday-Blog zeigt sich Judith Bachmann1 überzeugt: Ein Roboter, der Kursteilnehmende empathisch begleitet, ihre Schwierigkeiten und Ängste wahrnimmt, sie motiviert und ihnen kreative Lösungen aufzeigt, ist (…) noch unvorstellbar. Wo Empathie und Kreativität gefordert werden, sind Menschen momentan nicht wegzudenken.
Amy Edmondson geht mit ihrem Konzept der Psychologischen Sicherheit in Teams noch einen Schritt weiter. Lesen Sie dazu die kommenden Lernstunden.
Autor:
Christoph Lindinger
1 Bachmann, J. (2019): https://www.hrtoday.ch/de/article/fit-fuer-die-arbeitswelt-40-digitale-weiterbildung
Das Stichwort Eigenverantwortung wird zwar auch in der herkömmlichen, traditionell hierarchisch ausgelegten Aus- und Weiterbildung erwähnt. Sie findet jedoch in einem engen, vorgegebenen Rahmen statt und meint mehr ein hohes Mass an Disziplin als z. B. Entscheidungskompetenz. Klassische Didaktik gibt die Struktur vor, formuliert Lernziele, prüft Wissen und benotet den Erfolg.
Selbstgesteuertes Lernen beruht auf anderen Voraussetzungen und führt scheinbar wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu einer Scherenentwicklung. Wenigen «Ultralearnern»1 steht eine Mehrheit an «Patchwork-Lernenden» gegenüber. Während die einen die heutige Verfügbarkeit von Bildung nutzen, um ein gesamtes Studium innerhalb eines Jahres durchzuziehen, scheinen die anderen durch das Angebot zu zappen, ohne Durchhaltevermögen zu zeigen. Dies zeigt die extrem hohe Abbruchrate bei Massive Open Online Courses von MIT und Harvard auf dem gemeinsamen Portal edx, die im Durchschnitt bei 96 % im Zeitraum von 2012 bis 2018 lag2. Auch sinkt die Anzahl der Nutzer. Wird ein kostenpflichtiger Weg über ein verifiziertes Zertifikat eingeschlagen, bleiben aktuell noch 46 % der Lernenden bei der Stange. Allerdings waren dies 2016 noch 56 %.
Zeigt sich hier Ähnliches wie in anderen Bereichen, in denen die Interneteuphorie einen echten Dämpfer erlebt? Sind wir Lernenden am Ende noch nicht reif genug für das frei wählbare Angebot? Dies mag für eine ganze Reihe an Lernnovizen stimmen. Wer nie gelernt hat, wie man lernt, wird sich mit den MOOCs zunächst wie im Supermarkt seinen Korb mit allen möglichen Angeboten füllen, um schliesslich zu bemerken, dass die nötigen Mittel zum Bezahlen bzw. hier zum Lernen fehlen.
Auch eine andere Betrachtungsweise könnte weiterhelfen. Während das hierarchische Modell natürlich den erfolgreichen Abschluss einer Klasse, eines Kurses oder Studiums als Fokusziel formuliert, sucht sich der Patchwork-Lernende die interessanten Teile einer Lernreise heraus. Es wird auf diese Weise ohne Zertifikate oder Prüfungen ein ganz individueller Lernerfolg kreiert. Freude und Neugier stehen im Vordergrund.
Hochdisziplinierte Lernende profitieren auf ungeahnte Weise von der Demokratisierung des Lernens, lernerprobten Patchwork-Lernenden gelingt es, sich ihre eigene Lernreise durch das massive Angebot zusammenzustellen. Lernunerfahrene fühlen sich schnell überwältigt und können damit ohne Begleitung weder den hierarchischen noch den selbstbestimmten individuellen Weg einschlagen. Dass eine der Lernformen, sei es hierarchisch oder selbstbestimmt, allerdings allen anderen überlegen wäre, halte ich für ein Gerücht. Wer an seiner Lernkompetenz arbeitet, kann heute sein Repertoire auf phänomenale Weise erweitern und die Früchte von gelebter Eigenverantwortung geniessen.
Mr. Learninger’s Lernstunden gehen weiter und werfen einen Blick auf das populäre E-Learning. Bleiben Sie dran!
Autor:
Christoph Lindinger
1 Young, S.H. (2019): Ultralearning, Thorsons, London
2 MOOCs: Hohe Abbruchrate stellt Konzept infrage in: Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2019, S. 6
Lernen als universelles Prinzip steht für etwas wahrhaft Zeitloses. Ob man sofort an Erziehung, an schulische Ausbildung oder an Weiterbildungskurse aller Art denkt, Lernen ist ein Überlebensprinzip, ohne das weder Mensch noch Tier Zukunftsaussichten hätte. Dass sich in den vergangenen Jahrzehnten eine heimliche Lernrevolution ereignet hat, mag den Fachleuten bewusst sein. Laien nehmen die neu entstandenen Angebote wahrscheinlich ohne grosses Hinterfragen einfach in Anspruch.
Lernen wurde demokratisiert. Gleichzeitig wird damit auch deutlich, dass dem Lernenden weitaus mehr Verantwortung für seine Lernerfolgsgeschichte zukommt als noch in der Vergangenheit.
Abbildung: Modes of learning1
Im Harvard-MOOC (Massive Open Online Course) Leaders of Learning unterscheidet Richard Elmore2 zwischen vier verschiedenen Lernformen, hinter denen jeweils sehr unterschiedliche Lerntheorien und Vorgehensweisen stehen.
Eher traditionell fallen die beiden hierarchischen Wege aus. Ob individuell oder in der Gruppe, in beiden Fällen vermittelt eine Lehrperson das erforderliche Wissen. Während Wettbewerb und Benotung in der individuell hierarchischen Lernform im Vordergrund stehen, geht es bei der kollektiven Version um die Ausbildung von Menschen zu Mitgliedern einer Gemeinschaft. Einen anderen Weg schlagen die beiden Lernformen selbstbestimmtes individuelles Lernen oder selbstbestimmtes kollektives Lernen ein. Hier ist entweder der einzelne Lernende Dreh- und Angelpunkt des Lernens oder ein Team bzw. ein Netzwerk. Wer genau wann Lehrperson ist und ob überhaupt eine Person oder ein Medium das Wissen vermittelt, liegt in der Entscheidungsmacht der Lernenden.
Dem Thema «selbstgesteuertes Lernen» widmen wir die nächsten Lernstunden.
Fortsetzung folgt.
Autor:
Christoph Lindinger
1 Elmore, R. (2019): Modes of Learning Framework, Begleitmaterial zum MOOC Leaders of Learning
2 Elmore, R. et al (2019) Leaders of Learning: https://courses.edx.org/courses/course-v1:HarvardX+GSE2x+3T2019/c