Mr. Learninger’s Lernstunden (Teil 1)

Kolumne zur Kernkompetenz: LERNEN

Wer die Schule nicht liebte und froh ist, nicht mehr die Schulbank drücken zu müssen, mag es ungern hören: Lernen ist heute die mit Abstand wichtigste Kernkompetenz. Statt von Mitarbeitenden sollte man in der Arbeitswelt heute unbedingt von Mitlernenden sprechen. Die Zeiten sind endgültig vorbei, als man nach der Berufsausbildung noch sagen konnte, man habe ausgelernt. Lebenslanges Lernen mag zuerst vor allem ein Schlagwort gewesen sein. Inzwischen ist es endgültig in der Realität angekommen. Die Veränderungsgeschwindigkeit der Moderne zwingt zum Dazulernen. Verweigerung hat nichts Heroisches mehr an sich. Sie führt schlicht dazu, in der heutigen Umwelt nicht mehr zurechtzukommen.

Wir stehen förmlich in der Pflicht, in allen Lebensbereichen eine neue Lernkultur zu initiieren. Wenn wir den gewaltigen Problemen der Gegenwart, dem Klimawandel, den weltweiten Fluchtbewegungen, der drohenden Ernährungsknappheit und vielem mehr wirksam begegnen wollen, werden wir eine Vielzahl unserer alltäglichen Routinen über Bord werfen und neue Abläufe, vor allem aber neues Denken erlernen müssen. Das Thema Digitalisierung wird unser Leben bis in die privatesten Bereiche massiv umkrempeln. Was vielleicht wie eine reine Drohkulisse aussieht, bietet natürlich eine Menge Chancen. Voraussetzung ist allerdings, das notwendige Handwerkszeug zu besitzen. Dazu benötigt man zum Glück keine mit teuren Werkzeugen ausgestattete Werkstatt, sondern schlicht die Fähigkeit, lernen zu können und vor allem lernen zu wollen.

Wenn Sie mehr über das Lernen lernen wollen, lesen Sie weiter, denn wir stellen 3 essenzielle Voraussetzungen dafür vor.

Hello Learners!

Um das lebenslange Lernen kommen wir nicht mehr herum – das steht fest. Leider jedoch vermissen wir bei vielen Lehrinstituten ein Fach, das sich mit der Freude am Lernen befasst. Es müsste überall eine Art Eintrittskarte und begleitendes Angebot sein, sofern die Lernenden einmal ins Stocken geraten. Barbara Oakley hat mit ihrem Internetkurs «learning how to learn» auf coursera1 nicht nur gezeigt, dass man über das Lernen interessant und wirksam Unterricht machen kann, sondern mittlerweile auch über 2 Millionen Studenten aller Altersstufen erreichen können. Es müssten 2 Milliarden Lernende sein, um den weltweit so dringend benötigten Sprung nach vorne zu schaffen. «Human Capital» nennt die Weltbank2 jenes Ergebnis, das mit qualitativ hochwertigem Lernen verbunden ist. Sie konnte anhand von statistischen Analysen zeigen, dass es die Qualität des Lernens ist, die den Unterschied macht und nicht die Dauer des Schulbesuchs.
Mit «hello learners» begrüsst eine fröhliche Instruktorin auf coursera in jedem Video ihre Studenten. Mit dieser Kolumne „Learninger’s Lernstunden“ möchte ich auch Sie dazu anregen, in die Freuden Ihres Lernens zu investieren. Auf dass Lernstunden zu Sternstunden werden!

Dafür schauen wir uns zunächst die dafür notwendige Grundhaltung bzw. Mindset an.

Growth Mindset

Die eigene Grundhaltung entscheidet darüber, ob und wie man erfolgreich Veränderungen bewältigen kann. So einleuchtend es klingen mag, so schwer fällt es vielen Menschen, dieser Einsicht Taten folgen zu lassen. Gerade bei schwierigeren Themen kommt es fast schon als Voraussetzung darauf an, sich grundsätzlich einen Lernerfolg zuzutrauen, bevor man etwas Neues in Angriff nimmt.

Dabei geht es mehr als nur um das Prinzip Hoffnung. Den ersten Schritt für Lernen unter schwierigen Rahmenbedingungen liefert der mittlerweile gebräuchliche englische Ausdruck Mindset. Wenn wir etwas dazulernen möchten oder etwas verändern wollen, können wir unsere Einstellung zu den Dingen ändern, selbst wenn uns die Umstände massiv behindern sollten. Dies soll nicht bedeuten, zu allem in seiner Umgebung Ja und Amen zu sagen. Keineswegs. Gerade weil Rahmenbedingungen manches Mal mit übermächtigen Herausforderungen oder emotionalen Stürmen verbunden sind (wie z. B. chronische Stresssituationen auf der Arbeit oder eine als unberechtigt erlebte Kündigung), braucht man einen klaren Kopf. Wer sich von Anfang an entmutigen lässt, hat schnell verloren. Die einschränkenden Aussagen, das geht nicht, das kann ich nicht oder gar das werde ich nie können, sollte man aus seinem Gedankengut verbannen. Sie sind ein Zeichen für eine Haltung, die Fachleute den rigiden Mindset nennen. Es handelt sich um eine bittere Selbstblockade, die Lernen verhindert, bevor man überhaupt erste echte Erfahrungen mit einem Thema gesammelt hat.

Wie aber lässt sich solchen immer wieder auftauchenden Gedankenmustern erfolgreich begegnen? Die Antwort lautet: solche Gedankenmuster müssen umgedeutet werden. Dafür gibt es diverse Ansätze von verschiedenen Fachleuten.

Reframing

Ansätze wie „The Work“ von Byron Katie3 oder die „Lerner-Fragen“ von Marylee Adams4 bieten hier einen gangbaren Weg. Reframing lautet grob der Obertitel solcher Werkzeuge, also Umdeutung. Dies setzt allerdings zwei mentale Prozesse voraus:

  1. Zum einen muss ich erkennen, dass ich mich in die Sackgasse des rigiden Denkens bewegt habe
  2. und zum andern benötige ich das Wissen um und auch den Glauben an die Veränderbarkeit von Denkmustern.

Ideal beschreibt dies Carol Dweck5 mit dem Konzept des „Growth Mindset“. So konnte die Stanford-Forscherin zeigen, dass Kinder, die sich in Texten über die Funktionsweise unserer Gehirne informieren konnten, am Ende viel weniger von Fehlschlägen beeindruckt waren als Kinder ohne diese Kenntnisse. Wissen um die Veränderbarkeit unserer Synapsenverbindungen lässt uns ganz offensichtlich mehr darauf vertrauen, dass auch mehrfache Versuche sinnvoll sein und schlussendlich zum Erfolg führen können. Die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und damit zur Selbstreflexion besteht offensichtlich ansatzweise schon in jungen Jahren.

Die Psychologin und Bestsellerautorin Angela Lee Duckworth6 nennt aufgrund von empirischen Beobachtungen Grit (bedeutet hier Rückgrat im Sinne von Ausdauer) den wichtigsten Faktor für erfolgreiches Lernen. Sie stellt dabei fest, dass einer der wenigen heute bekannten Wege, diese auf Langfristziele ausgerichtete Haltung zu fördern, der Growth Mindset ist. Es bedeutet im Klartext, über eine Einstellung zu verfügen, etwas „noch“ nicht zu können, anstatt mit Glaubenssätzen wie „ich bin einfach nicht begabt genug“ sich selbst einzuengen. Das kleine Wort „noch“ macht dabei den riesigen Unterschied.

Ob Übung wirklich in allen Disziplinen Meister hervorbringt? Dies behauptet zumindest Anders Ericssons mit seiner 10‘000-Stunden-Formel.

Ausdauer

Viel Kritik hat Malcolm Gladwell7 mit seiner Behauptung auf sich gezogen, man könne auf nahezu jedem Gebiet Meisterschaft erringen, sofern man nur lange genug üben würde. Seine vom schwedischen Forscher Anders Ericsson8 übernommene 10‘000-Stunden-Formel nahm sich ein junger Amerikaner namens Dan McLaughlin9 so zu Herzen, dass er alles aufgab, um zum Profigolfer zu werden, obwohl er bisher in seinem Leben noch nie einen Golfschläger in der Hand gehalten hatte. Er schaffte es, etwas über 4‘000 Stunden an seinem Ziel zu arbeiten, und brachte es tatsächlich auf ein beachtliches Handicap. Allein sein Körper machte die Strapaze nicht mehr mit und nach dringenden Ratschlägen seiner Ärzte nahm er Abschied von seinem Projekt. Heute führt er den Getränkehandel Portland Syrup in Portland, Oregon. Über seine Zeit als Golfschüler schreibt er in einer von der NZZ übersetzten Kolumne10, wie sehr ihn doch das Fieber während der Zeit des Übens gepackt hatte. Eine der bemerkenswerten Erkenntnisse über seine Fortschritte in dieser intensiven Lernphase war, dass er immer dann einen Sprung machte, wenn es gerade einmal ziemlich schlecht lief. Wer also aufgibt, weil etwas beim ersten oder zweiten Versuch nicht gelingen will, könnte damit den wirklichen Fehler seines Lebens machen. Umgekehrt gehört ein gehöriges Mass an Selbstkenntnis dazu, sich nicht in etwas zu verrennen, das am Ende nur Enttäuschung bereitet. Ob man wirklich 1000 Fehlversuche braucht, um wie Thomas Edison am Ende endgültig den Durchbruch zur Glühbirne geschafft zu haben, steht auf einem anderen Blatt. Der Growth Mindset erlaubt aber auch Erwachsenen, so lange bei der Stange zu bleiben, bis man die Entscheidung trifft, ob weitermachen sinnvoll ist oder nicht. Aufgeben ist dann ein bewusster Vorgang und nicht die rigide Haltungsfrage, die besagt: Ich kann das eben nicht und fertig.

Der zweite Teil dieser Mr. Learninger’s Lernstunden-Kolumnen widmet sich den verschiedenen Lernwegen, die heutzutage zur Verfügung stehen.


Quellen

1 https://www.coursera.org/learn/learning-how-to-learn/home (2019)

2 The Future of Work: Preparing for Disruption (2019) Worldbank Kurs auf edx.org

3 Byron Katie, thework.com

Adams, M. (2015): Question Thinking. Die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen, dtv, München

Dweck, C. (2006): Mindset: a new psychology of success, Random House Publishing Group, New York

Duckworth, A., Tedtalk: Grit. The power of passion and perseverance.

Gladwell, M. (2008): Outliers, Little Brown and Company, New York

Ericsson, K. Anders (2012-10-01). „Training history, deliberate practise and elite sports performance: an analysis in response to Tucker and Collins review—what makes champions?“. Br J Sports Med. 47 (9): bjsports–2012–091767.

McLaughlin, D. (2010): http://thedanplan.com

10 McLaughlin, D. (2018): Schwarzes Loch in NZZ Folio, November 2018